(The same blog entry in English.)
Der Titel mag irreführend klingen, denn es geht nicht um absolute Wahrheiten, sondern die Ebnen der Wahrheitssuche. Wir gehen durch unser ganzes Gehirn. Und alles hängt zusammen, aber alles ist auch für sich wahr. Es können nur unterschiedliche Perspektiven sein. Und unser Leben ist leichter und besser, wenn wir alle drei Sichten sehen können.

Warum sehen wir nicht die ganze Wahrheit?
Ich war die letzten Tage im echten Leben und hier auf LinkedIn viel mit Fragen zu Leadership konfrontiert. Und natürlich sind die Antworten nicht einfach oder pauschal zu geben, aber eine Sache ist mir in allen Fällen aufgefallen: Die Probleme entstehen nur, weil wir “blind” sind.

Disclaimer
Wenn ich das hier schreibe, dann nur, weil ich auch in jeder Form blind war. Alles was ich hier beschreibe, kenne ich von beiden Seiten. Und niemand kann was dafür, weil wir eben diese “Brille” aufgezogen bekommen haben.
Wir wussten nicht mal, dass wir eine Brille – oder eben Scheuklappen – tragen. Wir dachten alle “die Welt ist halt so”. Also kein Grund für Scham, Widerstand oder der Angst vor Gesichtsverlust. Unser Gesicht hatten wir noch nie an. Bisher haben wir eine Maske getragen. Eine Maske, die andere aufgesetzt haben und die unsere Sicht sehr einschränkt.
Es waren meine Kinder, die mir gezeigt haben, wie blind ich war. Durch sie habe ich sehen gelernt. Und dabei gemerkt, dass ein Teil von mir immer wusste, dass da direkt außerhalb meines Blickfeldes was ist. Aber im Überlebensmodus – oder Autopiloten – hat man dafür ja auch keinen Kopf.
Definition Blindheit und sichtbare Bereiche
Wenn ich über “blind” rede, dann klingt das hart. Und es ist bildlich gemeint, aber es ist gleichzeitig wirkliche Blindheit, weil wir Dinge nicht wahrnehmen, die direkt vor uns liegen.
Und es geht nicht darum, dass wir gar nichts sehen, sondern dass das Spektrum des “Lichts”, das wir sehen extrem eingeschränkt ist. Wir sehen etwas, aber vielleicht nur schwarz und weiß oder nur eine einzige Farbe. So kann man sich das vorstellen.
Und das kommt durch die Brille (das Weltbild), die wir tragen. Und jetzt geht es darum, mal zu schauen, was wir verpassen.
Wir nehmen ein einfaches Model, und unterteilen das “Licht” in drei Bereiche: Das eine ist die Oberfläche. Die kennen wir gut. Das ist der Neocortex. Alles was wir bewusst machen und sagen. Bei uns und anderen.
Was wir nicht sehen ist der Bereich vom Limbi und vom Gecko. Da merken wir manchmal unscharf im Augenwinkel, dass da was sein muss, aber das war es schon.
Neocortex, Limbi und Gecko sind Spitznamen von Bereichen in unserem Gehirn. Und das Modell ist natürlich extrem vereinfacht. Aber uns soll das hier reichen:
Neocortex: Unser bewusstes Denken, Abwägen, Planen und Analysieren. Das was wir und andere gut kontrollieren können. Der Teil, der wie eine Maschine funktionieren soll.
Limbi (Limbisches System): Der Bereich im Gehirn, der für die Emotionen und damit auch alle Beziehungsthemen zuständig ist. Also Vertrauen Und Begegnung finden sich dort. Genauso aber auch der Verrat.
Gecko (Stammhirn oder Reptilienhirn): Der Bereich der unser Überleben sichert. Und damit die Schaltzentrale der Angst.
Wichtig: Alles was im Neocortex ankommt, lief vorher durch Gecko und Limbi, und wurde dort gefiltert und interpretiert. Da der Neocortex “langsam” ist, bekommt er nur aufbereitete Daten. Das ist ein bisschen wie der Bildschirm von deinem Smartphone. Da kommt nur das an, was andere Teilsysteme denken, was für dich interessant ist. Und das in einer aufbereiteten Form.
Bedeutet: Gecko > Limbi >> Neocortex
Kannst du mal ein Beispiel zeigen?
Und was bedeutet das nun ganz konkret? Wie sehen wir mehr und was machen wir dann anders?
Wir nehmen jetzt eine ganze Reihe von Beispielen und schauen hin, was da passiert. Wir beginnen mit unserer vertrauten Sicht (dem Neocortex) und ergänzen das um Limbi und Gecko. Natürlich sind die Beispiele verkürzt und vereinfacht, sollen aber ein Gefühl dafür geben, wie das mit den Ebenen ist.
Beispiel 1: “Also ich bin ein ganz freundlicher Teamleiter! Alles ganz entspannt, nur wenn es wirklich nötig ist, haue ich mal auf den Tisch.”
Das ist die Selbstauskunft von einer Teamleitung. Was steckt dahinter? Was sehen wir auf welcher Schicht (Neocortex, Limbi, Gecko)?

Neocortex: Das ist einfach. Da macht einer seinen Job. Und das braucht halt auch mal Ordnung und Disziplin. Er ist verantwortlich, also müssen die auch machen, was er sagt.
Limbi: Also wenn ein Mensch einem anderen Menschen sagt, was zu tun ist, dann ist das eine Primärbestrafung für den Limbi. Das ist Verrat. Also das Gegenteil vom Bauen von Vertrauen. Das kommt (oft gut gemeint) selbst aus einem unterdrückten Limbi: “Ich habe recht und sage dir, was du tun musst.” war ziemlich sicher das erlebte Erziehungsmuster und ist die Vorlage für alle fürsorglichen Beziehungen.
Gecko: Wenn ich “auf den Tisch haue”, dann zeige ich dominantes Verhalten. Das bedeutet, dass ich in der Angst bin. Also ich habe keinen Safe Space, sondern kompensiere das über vermeintliche Stärke; eben Dominanz.
Das ist jetzt nicht vollständig. In dem Satz (Weltbild) steckt noch mehr drin, aber das soll für die erste Runde reichen.
Wenn wir Gecko und Limbi auch ignorieren und unterdrücken, für unseren inneren Zustand gilt trotzdem: Gecko > Limbi >> Neocortex.
“Solange ihr macht, was ich möchte, ist alles gut. Blöd nur, dass ihr nie vorher wissen könnt, was ich wirklich möchte. Und ja, eure Meinung ist mir total egal. Denn ich habe recht und will nur euer Bestes. Also wenn ihr macht, was ich euch sage, wird es super.”
Beispiel 2: “Ich teile zwar nicht die Meinung von denen da oben, aber ich muss dir leider kündigen.”
Wir haben hier eine Teamleitung, die zwischen beiden Welten steht. Was ist in ihr los?
Neocortex: Es gibt halt unbequeme Dinge, die trotzdem getan werden müssen. Da muss man stark und professionell sein und macht das. Ich war auch “ganz offen und menschlich” dabei.
Limbi: Unstimmigkeit. Von oben kommt keine Führung, sondern ein Befehl. Also ist der Limbi (vom später ausführenden Management) verletzt und im Defizit. Das ist das, was sich überträgt und ausstrahlt. Wenn ich die Meinung nicht teile, dann muss ich auch (gefühlten) Verrat begehen. Ich werfe meine Moral über Bord, was bedeutet, dass ich meinen Limbi töte. Um das tun zu können, muss der ehe schon tot/verletzt und im Dunkel sein.
Gecko: Ich habe Angst. Die Angst übernimmt und ist der Grund, warum ich auf meinen Limbi keine Rücksicht nehmen kann. Letztlich zeigt das, dass es überhaupt keine Führung gibt, sondern eine Struktur der Angst und Abhängigkeit. Das mag alles hinter buntem Zuckerguss versteckt sein, aber zeigt sich deutlich. Ziemlich sicher zeige ich nach unten Fight-Muster und nach oben Flight-Muster. Es ist dieselbe Angst, hat aber zwei Gesichter.
Auch da gilt wieder für den inneren Zustand aller Beteiligten: Gecko > Limbi >> Neocortex.
Das gilt auch für alle Beobachter. Also der Schaden, der im ganzen Team entsteht ist riesig und wird lange bleiben.
Bis so etwas repariert ist, kann es lange Zeit dauern. Es gilt das Verhältnis 1:5; ein negatives Erlebnis braucht 5 positive. Das bedeutet hier: Ich brauche 5 ähnliche (vergleichbare) Situationen, wo anders gehandelt wird, bis wir wieder bei null sind! Dann weitere 5, bis wir in den positiven Bereich kommen. Die Situation kann also 10-15 Jahre nachwirken. Nehmt das bitte in eure Kostenabschätzungen mit auf.
Es lohnt sicht, diese Situation nur aufgrund definierter Werte aufzulösen. Denn eine Kündigung ist nicht das Problem, solange sie auf den Werten und Purpose basiert.
Beispiel 3: Eine Millennial-Chefin versucht eine Gen Z Mitarbeiterin anzulernen. Macht Priorisierung und erklärt alles, aber nichts passiert. Auch nach 2 Runden nicht.
Hier müssen wir ein bisschen in beide reinschauen. Wir beginnen jetzt mit der Chefin und wechseln bei Bedarf.
Neocortex: Es muss ja klar sein, was getan werden muss. Und was wichtig ist. Also was ist heute dran und was morgen, oder was kann bis in drei Wochen warten. Damit man das lernen kann, muss ich es erklären. So habe ich es auch gelernt.
Limbi: Wenn ich Arbeitsanweisungen gebe, dann sind das Befehle. Primärbestrafungen für den Limbi. Und jetzt haben wir hier etwas Spannendes: beide Seiten sind in einem unterschiedlichen Entwicklungsstand. Auch wenn Gen Z da nicht perfekt ist (weil deren Limbi nie trainiert wurde), ist er nicht so im Dunkel. Millennials sind es gewohnt, dass der Limbi abgewürgt wird. Gen Z nicht. Das ist hier der Konflikt.
Gecko: Gen Z ist auch nicht in der Angst vor Hierarchien. Da hat sich was geändert. Deswegen haben wir hier auch eine “unverständliche” Reaktion aus Sicht der Millenials. Die Erwartung ist, dass da Angst (wird mit Respekt gleichgesetzt) sein müsste. Da die fehlt, sind die Reaktionen völlig unverständlich.
In diesem Beispiel sind die “blinden” Ebenen am offensichtlichsten, weil beide in unterschiedlichen Welten sind. Trotzdem ist den Gen Z-lern auch nicht klar, was da genau passiert. Weder Limbi noch Gecko ist “entwickelt”. Sie sind nur nicht so sehr zerstört.
Und das ist ein ganz wichtiger Aspekt, gerade für den Limbi: So wie wir unser Denken trainieren, was sehr gut ist, so müssen wir unser emotionales und soziales Gehirn trainieren. Aber eben mit anderen Methoden. Das geht eben nicht über den Neocortex, sondern den Limbi müssen wir mit Limbi-Training erreichen.
Die Lösung ist hier übrigens noch naheliegender als in jeder anderen Situation: “Don’t manage people, manage purpose.”
In dem Moment, wo wir Richtung geben – also echte Führung leben – lösen sich diese Probleme von selbst. Wir klären nicht, was zu tun ist, sondern wie die Wirkung auf die Welt sein soll. Wir klären (vorher!), ob wir da dieselben Vorstellungen haben.
Der Rest ist dann persönliche Umsetzungs-Kompetenz und Verantwortung. Die kann und soll differieren. Je kompetenter unsere Leute sind, desto besser werden sie es tun. Viel besser als ich selbst. Unser Job ist nur, dass alles zusammenpasst. Und das machen wir über das System.
Beispiel 4: Neue Teamleitung kommt in ein Team und will den Überblick bekommen. Redet mit jeder Person im Team und bei fast jedem Thema kommt als Antwort auf “Wen kann ich da fragen?” ein Name: “Frag da am besten die Kerstin.”
Was passiert denn da in der neuen Teamleitung? Schauen wir mal rein.
Neocortex: Das ist eine sehr komfortable Situation. Alles ist geklärt und in guten Händen. Es gibt einfach nichts zu tun. Man muss nur schauen, dass alles so bleibt. System stabil halten und das Leben genießen. Und die Kerstin natürlich wertschätzen. in jeder Form und Ebene.
Limbi: Also je nachdem wie der Limbi, der neuen Teamleitung ist, kann das sehr unterschiedlich sein. Schauen wir uns zuerst den Gecko an und kommen danach nochmal zum Limbi zurück.
Gecko: Das ist jetzt mit dem Limbi zusammen das kritische Element. 98% aller Personen, die sich auf Management-Positionen bewerben sind in der Angst. Im Fight-Modus, also sie müssen Dominanz zeigen und sich beweisen. “Ohne mich geht nichts!” Was sie am meisten fürchten ist, dass die Welt ihr “ich bin nicht genug” sieht. Wenn da jetzt jemand im Team ist, der sie eigentlich überflüssig macht, so ist das ein direkter Angriff auf ihre Existenz.
Limbi: Diese Info (Angst) kommt jetzt vom Gecko zum Limbi. Unser Limbi reagiert also auch aus der Angst. Jetzt stellt sich die Frage, ob unser Limbi trainiert ist. Wie ist es mit Beziehungen, Vertrauen, interner emotionaler Regulierung, Resilienz, Reparatur? Bin ich trainiert, dann fängt der Limbi den Gecko ab und feiert die Situation. Im (statistischen) Normalfall, geht der Limbi auch in die Angst. Denn “ich bin nicht genug” ist ja eine soziale Angst. Wenn ich nicht nützlich bin, dann verstößt mich mein Rudel. Also muss meine Bedrohung weg.
Das ist ja auch das, was meistens passiert. Ob jetzt gemobbt, gekündigt oder anders verschoben, diese Menschen werden entfernt. Damit wird natürliche Führung (durch Hierarchie) automatisch aus den Organisationen vertrieben.
Beispiel 5: Kind wirft sich im Supermarkt auf den Boden und schreit. Oder morgens vor der Schule wird getrödelt und alles wird zu spät.
Ich würde gerne viel mehr Beispiele aus Beziehungen und Erziehung nehmen, aber das ist ja nicht ganz der Kern von OrgIQ. Dennoch auch hier nochmal der Hinweis, dass wir die Weltbilder der Erziehung so um eine Generation versetzt im Management wiederfinden. Beides ist verbunden. Wie wir erzogen wurden, wird unser Bild von “Führung” prägen. Daraus zu kommen ist möglich, aber großer Aufwand.
Wir schauen uns mal die Eltern an und auch ins Kind hinein.
Neocortex: NEIN. Dazu gibt es jetzt überhaupt keinen Grund. Das ist völlig überflüssig und unnötig. Als hätten wir nicht schon genug Stress.
Limbi: Was werden die anderen denken? Ich muss gute Eltern sein und funktionieren. Mein Kind muss auch funktionieren.
Hier brauchen wir noch eine zweite Limbi-Sicht; das ist mehrschichtig: Der Limbi der Eltern ist seit der eigenen Kindheit in Rebellion/Unterdrückung. Zu etwas gezwungen zu werden und keine Wahl zu haben, ist eine Primärbestrafung für den Limbi. Wenn wir uns damit abgefunden haben, dann ist das Resignation. Und wenn sich jemand dagegen wehrt, dann ist es gleichzeitig Frust, Scham und Widerstand. Ich will nicht erinnert werden, dass ich an der Stelle gebrochen wurde. Ich will nicht erinnert werden, dass ich zu schwach war und ich will nicht erinnert werden, dass ich mal lebendig war.
Gecko: Kindern gegenüber zeigen wir am ehesten “Fight-Muster”. Je nachdem wie stark wir den Druck von außen erleben, geben wir den weiter. Da kann das mit der Pünktlichkeit und der Schule noch stressiger sein, als die andere Situation. Also erhöhe ich den Druck und will, dass mein Kind endlich funktioniert.
Die Sicht das Kindes ist ganz anders. Bis sie zerbrechen sind Kinder 90% Limbi und nur 10% Neocortex. (siehe den Blog-Eintrag zur Entwicklung von Kindern) Also das Rationale ist einfach nicht so wichtig, sondern der innere emotionale Zustand. Und beim Kind wird es so sein, das ein Grundbedürfnis (Bindung, Selbstwert, Selbstbestimmung, Sicherheit) verletzt ist. Das spürt das Kind, kann es aber nicht in Worte fassen. Aber das Kind möchte gesehen, gehört, verstanden und berührt werden (also der Kern von Begegnung oder Verbundenheit). Und damit das geht, muss es seine Gefühle an dich übertragen: “Ich möchte, dass du fühlst, was ich fühle.” Die Handlung dient also nur dazu, dass du fühlen kannst, wie es sich gerade fühlt. Wir sind großartig darin, dass wir wissen, wie andere emotional auf unser Verhalten reagieren, und welche Gefühle wir dadurch in ihnen erzeugen.
Deswegen ist eine direkte rationale oder emotionale Reaktion nicht hilfreich. Wir müssen nur sehen, welches Gefühl in uns entstanden ist und sagen “ah, jetzt weiß ich, wie es dir geht”.
Beispiel 6: Geschäftsführer tickt aus und fängt an rumzuschreien und an die Wände von seinem Glas-Büro zu klopfen (zu hämmern).
Der Kontext dazu ist, dass es sich um eine offene Bürolandschaft handelt. Großraumbüro für die Mitarbeiter und Glaskästen für das Management. Mit der Idee: Bedeutung = Größe des Glaskastens.
Das Management hat aber den Einkauf genau neben den Glaskasten der Geschäftsführung platziert. Und die sind nun mal laut. Meetingräume oder andere Plätze zum Telefonieren gibt es nicht.
Schauen wir mal in ihn rein …
Neocortex: Es ist so laut, wie soll ich denn hier arbeiten. Ich muss für Ruhe sorgen.
Limbi: Ich werde nicht gesehen. Ich bin immer noch der kleine ungesehene und ungeliebte Junge. Dann können die wenigstens Angst vor mir haben.
Gecko: Wenn ich unsichtbar bin, dann bin ich bedeutungslos. Und wenn ich im Rudel keine Bedeutung habe, dann brauchen sie mich nicht. Dann kann ich weg. Dann bin ich tot. Also muss ich klarmachen, dass ich der Boss bin.
Die meisten im Management sind nicht über die emotionale Entwicklung von 5 Jahren hinausgekommen. Ab 7 sollte man die interne emotionale Regulierung im Griff haben.
Das bedeutet nicht, dass sie nicht wundervolle Menschen sind. Sie haben nur diese grundlegenden emotionalen und damit sozialen Skills nicht entwickelt.
Macht und Angst wird deswegen gerne als Ersatz für Annahme und Respekt genommen. Den Macht und Angst kann ich erzeugen und kontrollieren. An Annahme und Respekt glaube ich nicht, weil es nicht in meiner Kontrolle liegt; und weil ich es nicht erlebt habe und selbst nicht kann.
Hier wird er auf der einen Seite zur Witzfigur, weil es einfach so zu viel ist, aber gleichzeitig verbreitet er auch Angst. Und das ist das Beste, was er kennt.
Beispiel 7: Lebensfreude kommt in ein Team
Da muss ich ein klein wenig weiter ausholen. Wir reden über ein “Friedhofs-Team”. Alle sind leise, am Arbeiten und mit sich selbst beschäftigt. Weil das Thema “Legal” ist, wundert sich niemand. Wer will mit denen schon reden?
Dabei sind paar der Kolleg:inn:en eigentlich unterhaltsam, aber das wird nicht gelebt. Auch offizielle Bemühungen von der Teamleitung mit den Nachbar-Teams bei gemeinsamen Frühstücken in Kontakt zu kommen, scheitern.
Jetzt kommt jemand Neues ins Team und es ist wie ein Frühlingserwachen. Die Person selbst bringt Lebensfreude und Entspanntheit mit, aber steckt auch andere an. Plötzlich findet Interaktion mit den Nachbarteams statt und andere, die immer geschwiegen haben, erwachen zum Leben.
Also was passiert in der Teamleitung:
Neocortex: Da muss ich jetzt mal schauen, ob die dann auch noch arbeiten. Das ist ja total schön, dass wollte ich ja immer. Ich habe mich da ja sehr bemüht. Jetzt sind sie soweit.
Limbi: Ich bin hier der Boss. Wenn die Beziehungen bauen und fröhlich sind, dann soll das wegen mir sein. Die sollen mich respektieren und mögen. Ich habe mich so bemüht, aber das hat gar nichts geändert.
Hier muss ich den Limbi zweiteilen, weil es gibt noch eine zweite Wahrheit. Denn das Erste ist eine (unbewusste?) emotionale Reaktion. Die Wahrheit ist aber, dass der Limbi der Teamleitung tot ist. Es soll eine freundliche Fassade aufrecht erhalten werden, aber die Wahrheit ist das, was das System wirklich tut. Und der innere Friedhof der Teamleitung soll ausstrahlen. Alle sollen “so fühlen, wie ich fühle”.
Gecko: Es ist wieder ein “ich bin nicht genug” Szenario. Ich habe Angst, dass ich nicht nur ersetzt werde (emotional bin ich schon längst ersetzt worden, die neue Person hat längst die Führung übernommen, ohne etwas zu tun, sondern nur durch ihr Wesen), sondern ich wurde übertrumpft. Das ist nicht nur eine Bedrohung, sondern ein direkter Angriff auf mich und meine Rolle.
Ja, es ist ähnlich zu Beispiel 4. Führung kann sehr unterschiedlich aussehen. Und wir hatten hier eine Führung in Menschlichkeit und Lebendigkeit.
Die Situation wurde hier über eine Uminterpretation der zwischenmenschlichen Kontakte erledigt. “Schau mal, was du alles kaputt gemacht hast.” (Das jetzt komplett auszuführen, würde den Rahmen sprengen, aber bestimmt mal an anderer Stelle.) Das Team versank danach wieder in den Friedhofs-Modus. Die neue Person sollte sich einem “bewehrten Zombie” anpassen (“nimm dir ein Beispiel an xyz … wenn du so wärst, wäre alles gut geblieben”), hat aber ihre Lebendigkeit gegen Dysfunktionalität eingetauscht und vergiftet nun ihr Umfeld. Rache an allen, die lebendig sind.
Also das Muster wurde von der Teamleitung nach unten übertragen und dort auf eine eigene Art übernommen.
(Eine Vertiefung dazu hat einen eigenen Blog Eintrag bekommen.)
Beispiel 8: “Gen Z hat so hohe Erwartungen, aber leistet nichts.”
Ob das jetzt von HR oder vom Management kommt, ist egal. Schauen wir mal rein.
Neocortex: Die sollen jetzt einfach funktionieren, wie alle anderen auch. Ich mach doch auch nichts anderes. Wenn sie die Leiter nach oben klettern, dann können sie mehr fordern. So machen wir das schon immer.
Limbi: Der Limbi reagiert genervt, weil er sein ganzes Leben unterdrückt wurde und die das einfach nicht mitmachen wollen. Das ist unfair. Ich will ja dasselbe, aber ich hätte mich nie getraut das zu sagen.
Gecko: Kann es sein, dass ich mein ganzes Leben verkackt habe? Aber bevor ich das zugebe, gehe ich in den Widerstand. Die sind falsch. Wenn die nicht falsch sind, wäre ich falsch. Ich bin aber älter. Also wer ich länger falsch. Dann wäre ich dumm. Dumm darf ich nicht sein, sonst bin ich nutzlos fürs Rudel und werde verstoßen.
Und was ist da die Wahrheit: Ja, wir wurden alle betrogen und sind vielleicht auch ein bisschen dumm. Aber es ist wie der anekdotische Frosch mit dem Tauchsieder: aus dem heißen Wasser würde er direkt raushüpfen, aber bei der schleichenden Erwärmung verpasst er den Absprung.
Rory Sutherland hat kürzlich daran erinnert, dass wir in den 1960ern noch eine ganze Familie (mit Kindern, Haus, Auto, Fernseher, Waschmaschine, …) mit einem Gehalt finanzieren konnte. Ohne Schulden. Mit 40h Familien-Wochen-Arbeitszeit.
Heute sind wir bei 80+h und haben im Prinzip weniger. Und Schulden. Betrachten wir den technologischen Fortschritt und nehmen die 1960er als die Baseline, dann sollten wir heute bei maximal 30h Familien-Wochen-Arbeitszeit sein. Und das ging schleichend. Aber wir werden jede Woche um 50h betrogen und haben es nicht gemerkt.
Und was jetzt?
Üben, üben, üben. 😉
Das ist jetzt keine vollständige Anleitung, das ist mir klar. Aber es gibt euch ein Gefühl, was wir verpassen, wenn wir uns nur den Neocortex anschauen. Denn dann sehen wir die wirklichen Ursachen nie. Und damit reagieren wir auf etwas völlig Bedeutungsloses. Unsere Reaktion geht am Thema vorbei und erzeugt dann wieder eine Gegen-Reaktion, die auch daneben ist.
Es ist gar nicht wichtig, dass wir bei Limbi und Gecko richtig liegen, sondern dass wir mit der Zeit ein Gefühl entwickeln, was Gecko und Limbi (negativ/positiv) aktiviert. Und das ist gar nicht so kompliziert.
Denn es geht nicht darum, dass wir recht haben, sondern dass wir uns begegnen.
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