Gedanken zur Wahl – Teil 2: “Die Erfolgs-Falle”

Eine kleine Serie in vier Teilen (Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4), die sicher keine Wahlempfehlung enthält, aber die systemischen Grundlagen von OrgIQ auf aktuelle politische Situationen anwendet.

Übrigens kann man das auf alle Wahlen anwenden. Die vergangenen und die zukünftigen.

Schauen wir mal, wie das funktioniert.

Teil 2: Die Bequemlichkeits-Falle

Im Teil 1 haben wir die drei Rollen oder Gruppen in Populationen kennengelernt: Pioniere, Wächter, Rettungsringe.

Die Pioniere sind dabei die spannendste Gruppe, weil sie aktiv Risiken eingehen und auch gleichzeitig sowas wie ein Seismograph sein müssen. Sie müssen spüren, wenn wir was ändern müssen. Wenn Gefahr droht.

Von daher ist es in jeder Population sinnvoll, wenn wir voneinander wissen, wer welche Rolle hat. Was ist unser Angst-Level und wie werden wir reagieren?

Dazu mal ein einfaches Bild:

Die Welt verändert sich. Das ist eine ziemliche Binsenweisheit. Dennoch lohnt es sich anzuschauen, wie das geschieht und wie wir reagieren und was die Ergebnisse der Reaktion sind.

Die Umgebung oder Welt (blau) ändert sich immer, das unterliegt nicht in unserer Kontrolle. Zumindest nicht immer. Oft werden die Veränderungen auch durch Entscheidungen in der Vergangenheit ausgelöst, aber die Veränderung ist dann da. Wir können nicht in der Zeit zurück und es ungeschehen machen.

Wenn z.B. eine neue Technologie aufkommt, ein neues Element entdeckt wird oder wir im Lotto gewinnen: Wir dürfen an der Stelle überlegen, wie wir damit umgehen. Wenn wir in die Unternehmenswelt schauen, dann sind das meist die Start-Ups, die kreativ Änderungen umsetzen und Produkte oder Services anbieten.

Das bedeutet nicht, dass jede Anpassung funktioniert und ein Erfolg wird. Bei Start-Ups haben wir ungefähr eine Quote von 20:1. Also eine von 20 Ideen führt zu einem echten Erfolg.

Leichte Zeiten

Im Bild können wir sehen, dass es leichte Zeiten gibt. Eine leichte Zeit bedeutet, dass wir Erfolg haben (was auch immer das jeweils für das System bedeutet), und unsere Lösungen dicht an der Realität der Umgebung dran sind.

Wir fühlen, dass alles gut passt und stimmig ist. In uns und von uns zur Welt. Also auch eine hohe Sicherheit, Vertrauen in die Zukunft und Mut.

Da die Welt sich aber fortwährend verändert, ist das natürlich kein dauerhafter Zustand. Zerrissenheit entsteht. Der Abstand unserer Lösungen zur Welt nimmt zu, und, was noch viel schlimmer ist, wir landen in der Erfolgs- oder Bequemlichkeits-Falle.

Die Bequemlichkeits-Falle bedeutet, dass wir vergessen haben, woher unser Erfolg kommt. Denn wir schauen auf diese drei Linien aus “Kundensicht”. Unser erleben ist ja gleichzeitig. Wir sehen (spüren) en aktuellen Zustand der Welt, wir sehen die Lösungen die wir haben und die Diskrepanz zwischen beidem. Und wir sehen den Erfolg, der noch da ist. Aber vielleicht schon Anzeichen zeigt zu schwinden.

Und was wollen wir dann? Natürlich zurück in die leichte Zeit. Der Wunsch ist, die Zeit zurückzudrehen. Denn als nach der letzten Änderung der Erfolg einsetze, genau das war eine tolle Zeit.

Perspektivwechsel

Leider haben wir eine etwas verschobene Perspektive, denn die Kausale-Kette sieht natürlich anders aus.

Wieder sehr vereinfacht dargestellt, haben wir eine Reaktionszeit auf die Veränderung der Welt. Je besser unsere Pioniere sind und je mehr sie ausprobieren dürfen, desto kürzer wird diese Zeit sein. Diese Zeitspanne können wir optimieren und zum großen Teil steuern. Das ist unser Einflussbereich.

Denn hier zählt Kreativität, Innovation und Transformationsfähigkeit. Und der Mut zu scheitern, weil wir ja 20 Versuche brauchen, bis einer funktioniert. Und je schneller wir scheitern, desto besser ist es.

Die zweite Verzögerung kommt daher, dass es dauert, bis ein Effekt eintritt. Egal wie toll die Idee (das Produkt oder die Dienstleistung) ist, es gibt die Verzögerung der Marktdurchdringung. Und das heißt, dass es nochmal eine Zeit dauert, bis sich der Erfolg einstellt. Diese zweite Zeitspanne haben wir nicht so gut im Griff. Einen Teil kann man steuern, aber nicht alles.

Wie im Business ist es auch in der Politik: Jedes Thema unterliegt diesen Kurven. Und für jedes einzelne Thema muss ich mir die kausale Abhängigkeit anschauen. Wenn ich steuern und bewerten will, dann muss ich schauen, woher mein Erfolg kommt. Wohlstand ist eine Frucht von einem Baum. Deswegen ist es wichtig zu verstehen, ob es dem Baum noch gut geht. Oder ob wir zeitig einen neuen pflanzen müssen, damit wir dann auch in der Zukunft Früchte haben.

Ich fände es in der politischen Diskussion schön, wenn zu jedem Thema diese Analyse gemacht und gezeigt würde. Denn auch in der Kausal-Kette werden wir nicht immer einer Meinung sein, aber dann können wir Modelle statt Meinungen diskutieren.

Politik sollte nicht zu Ego und Selbstdarstellung verkommen. Auch für dieses Thema könnten wir so ein Chart zeichnen. Wo haben wir den Absprung verpasst?

Führung und Disruption

Mit diesen drei Kurven und dem Verständnis von Pionieren, Wächtern und Rettungsringen, bitte ich euch mal Nachrichten zu verfolgen. Es ist erstaunlich, wie viel Selbstoffenbarung man an allen Stellen hört.

Es ist leicht festzustellen, wer in welchem Muster – und Angst-Level – reagiert. Schreibt gerne in die Kommentare, wo ihr Pioniere, Wächter oder Rettungsringe entdeckt.

Weil wir beim Bild vom Baum waren, noch hier ein Lebenszyklus zur Führung. Auch das gilt wieder für jede Art von System. Im Prinzip ist das der Ablauf im System zwischen zwei Änderungshüben, wie wir sie in den Kurven oben gesehen haben. Also der Weg von Erfolg zu Erfolg.

Um an der sich verändernden Umwelt dranzubleiben, durchläuft jedes gesunde System diese Phasen: pflügen, säen, wachsen, ernten. Und aus Erfahrung wissen wir, dass es zwei kritische Stellen gibt. Nur an diesen zwei Stellen sollten wir steuernd in die Systeme eingreifen. Den Rest der Zeit sind gesunde Systeme stabil. Oder selbstgesteuert.

Management wie Politik macht es meist genau verkehrt herum: stören, wenn das System Ruhe braucht und die unbequeme Steuerung vermeiden und „aussitzen“.

Wenn wir den Kontext nicht verstehen, haben wir Angst. Denn unser Gehirn liebt das Vertraute (das ist der Hintergrund der „Rigidity Trap“; also für die Starrheit). Und bei neuen Lösungen fehlt eine konkrete Vorstellung der Vision, das ist dann die „Poverty Trap“ (wir vertrauen der Zukunft nicht und wollen nicht investieren; also bleiben auf dem alten Baum, obwohl wir merken, dass er stirbt).

Wir müssen also die beiden Stellen erkennen und dort mutige Entscheidungen treffen. Solange, bis ein Ansatz funktioniert hat. Danach ist eine Zeit der Ruhe angesagt. Und genau dieser Rhythmus, wie unsere Jahreszeiten, sollte für jedes Thema sichtbar sein.

Die Herausforderung einer Demokratie ist an dieser Stelle, dass Pioniere keine Mehrheit sind. Deswegen müssen wir versuchen, auch die Wächter und Rettungsringe zu erreichen. Je weiter unsere Wahrnehmung von der Realität entfernt ist, desto schwieriger wird es. Und das hat damit zu tun, dass Angst nicht logisch ist.

Wichtig ist, dass die Veränderung sich nicht auf „dressierte Handlungen“ bezieht, sondern wir Menschen helfen, ihre Perspektive zu erweitern. Dann kommt der Rest – das Denken und die Handlungen – von alleine.

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