Wo die Intelligenz in Organisationen wirklich steckt – und wie wir Produktivität messen sollten
Wie organisiert man Menschen und Aufgaben so, dass großartige Ergebnisse entstehen? Diese Frage ist so alt wie die Zivilisation selbst. Doch die Art und Weise, wie wir Organisationen strukturieren, hat sich über die Jahrhunderte immer wieder verändert – von den straffen Hierarchien römischer Heere bis hin zu kollaborativen Netzwerken moderner Start-ups.
Wenn wir Organisationen betrachten, finden sich meist drei grundlegende Modelle, die sich durch ihre Annahmen über Intelligenz, Steuerung und Produktivität unterscheiden. Das Verständnis dieser Modelle hilft nicht nur, die eigene Organisation zu reflektieren, sondern auch, kluge Entscheidungen für die Zukunft zu treffen.
Das Modell des Puppenspielers – Kontrolle durch zentrale Intelligenz
Das älteste und in vielen Köpfen intuitivste Modell ist das des Puppenspielers. Es erinnert an das römische Militär: eine zentrale Figur, die alle Fäden in der Hand hält. Der Puppenspieler versteht das gesamte System, verteilt die Ressourcen und weist klare Aufgaben zu. Die einzelnen Teile – seien es Soldaten oder Arbeiter – tun ihren Job. Und das ist, wie beim Kartoffelacker, meist bei allen der gleiche. Alle haben einen Job. Alle sind austauschbar. Und es ist glasklar, was zu tun ist.
In dieser Struktur steckt die Intelligenz ausschließlich im Kopf des Puppenspielers. Die Herausforderung liegt nicht in der Ausführung, sondern in der Planung: Welche Ressourcen werden benötigt, wie werden sie verteilt, und wie wird die Effizienz gesteigert? Dieses Modell ist erstaunlich robust, wenn es um vorhersehbare, repetitive Aufgaben geht. Ob Kartoffelernte oder militärische Strategien – solange die Umgebung überschaubar bleibt, funktioniert dieses Modell.
Doch in einer Welt, die zunehmend von Kreativität und Innovation lebt, stößt der Puppenspieler an seine Grenzen. Hier versagt die Annahme, dass eine zentrale Figur alles verstehen und steuern kann. Die Intelligenz des Systems muss sich verteilen – und das erfordert eine neue Denkweise.
Prozessorientierung – Spezialisierung und Standardisierung
Mit der Industrialisierung kam eine neue Art der Organisation: die Prozessorientierung. Hier liegt die Intelligenz nicht mehr in einer einzelnen Person, sondern in den Prozessen selbst. Diese sind hochspezialisiert, klar definiert und darauf ausgelegt, menschliche Fehler zu minimieren. Menschen werden nicht als kreative Geister gesehen, sondern als ausführende Elemente in einem System. Menschen sind die Zahnräder in der großen Maschine.
Die Stärke dieses Modells liegt in der Spezialisierung. Ein Prozess kann bis ins kleinste Detail optimiert werden, um höchste Qualität und Effizienz zu gewährleisten. Fehler werden durch Mechanismen wie „Poka Yoke“ (Fehlervermeidung) minimiert, und das gesamte System läuft wie ein präzises Uhrwerk.
Doch auch dieses Modell hat Schwächen. Prozesse sind stabil, aber starr. Sie eignen sich hervorragend für standardisierte Aufgaben – wie Produktionslinien oder administrative Abläufe –, doch wenn es darum geht, etwas Neues zu schaffen, wirken sie wie ein Bremsklotz. Denn Kreativität lässt sich nicht in Prozesse pressen.
Kollaboration – die Quelle von Innovation
Das dritte Modell, die Kollaboration, ist der jüngste Ansatz und gleichzeitig der schwierigste zu meistern. Hier steckt die Intelligenz nicht in einer zentralen Figur oder einem Prozess, sondern in den Menschen selbst. Genauer gesagt: in der Dynamik zwischen ihnen. Kollaboration lebt von Kreativität, Emotionen und dem Zusammenspiel unterschiedlicher Perspektiven.
In einem kollaborativen System gibt es keine klaren Prozesse, die Innovation garantieren können. Niemand weiß alles, und niemand kann vorhersehen, wann die beste Lösung entsteht. Planung und Kontrolle sind hier eher Hindernisse als Hilfen. Stattdessen braucht es ein Umfeld, das Kreativität fördert und Risikobereitschaft belohnt.
Die Herausforderung in kollaborativen Organisationen besteht darin, den richtigen Rahmen zu schaffen. Druck, starre Zeitpläne oder externe Kontrolle töten die Kreativität. Stattdessen muss das System „self-contained“ und sicher sein, sodass Menschen frei denken und experimentieren können. Die Produktivität misst sich hier nicht in Zeit oder Qualität, sondern im Innovationsgrad – also in der Fähigkeit, völlig neue Lösungen zu schaffen.
Produktivität messen: Zeit, Qualität oder Innovation?
Jedes der drei Modelle hat seine eigene Definition von Produktivität. Während der Puppenspieler vor allem Zeit als Maßstab nutzt, steht bei der Prozessorientierung die Qualität im Vordergrund. Kollaborative Systeme hingegen messen ihren Erfolg an der Innovationskraft.
Abbildung: Erwartungen an Mitarbeiter in den verschiedenen Organisationen. Und natürlich haben auch intelligente Organisationen ein gesundes Fundament and Professionalität und Struktur. Daran ist nichts auszusetzen. Es geht nur darum, dass wir den Schwerpunkt richtig setzen.
Diese Unterschiede sind entscheidend, um die Stärken und Schwächen eines Systems zu verstehen. Wer Kreativität erzwingen will, indem er Zeit oder Prozesse als Maßstab anlegt, wird scheitern. Innovation entsteht nicht durch Druck, sondern durch Freiräume.
Ein cleveres kollaboratives System bewertet daher nicht nur die Menge an Innovationen, sondern auch deren Grad: Wie weit ist eine Lösung von bisherigen Ansätzen entfernt? Wie clever ist die zugrunde liegende Architektur? Diese Fragen helfen, die wahre Produktivität einer kollaborativen Organisation zu erfassen.
Die Realität: Mischformen und ihre Gefahren
Die meisten Organisationen sind keine reinen Puppenspieler-, Prozess- oder Kollaborationssysteme. Stattdessen finden wir Mischformen. Doch genau hier liegt die Gefahr: Wenn wir Prinzipien aus einem Modell auf ein anderes übertragen, entstehen Konflikte.
Ein klassisches Beispiel: Kreative Entwicklungsprojekte werden oft wie ein Kartoffelacker geführt. Aufgaben werden zugewiesen, Zeitpläne diktiert. Doch statt Innovation entstehen Durchschnittslösungen – weil das System die Kreativität erstickt.
Die Lösung liegt in der kontextuellen Flexibilität. Jede Aufgabe, jedes Projekt verlangt nach dem richtigen Modell. Standardisierte Abläufe profitieren von Prozessen, kreative Projekte brauchen Kollaboration. Und manchmal, wenn einer Person alles klar ist, kann der Puppenspieler brillieren.
Die perfekte Lösung?
Wir sind Menschen. Mensch und Perfektion in einem Satz ist gleich wieder dysfunktional. Worum es geht, ist, dass wir ein besseres Verständnis bekommen, was wir gerade tun und wie wir einen Schritt in eine bessere, passendere Richtung gehen können.
Aus meiner persönlichen Sicht ist auch das “Warum haben wir es bisher nicht getan? Was hält uns zurück?” wichtig. Denn dann sehen wir, was uns wirklich steuert.
In diesem Beitrag ist Ego zwar nicht das zentrale Thema, aber unser “Ego” – im Sinn von den Schutz und Kompensationsmustern unserer emotionalen Verletzungen – ist meist am Steuer. Wir belohnen das in den aktuellen Systemen.
Denn schon als die Prozessorganisationen kamen – und wer ist heute nicht mindestens ISO 9001 zertifiziert? –, hätten die Hierarchien abgelöst werden sollen. Steuerung findet über die Architektur und die Prozesse statt. Stattdessen sind wir beim Puppenspieler stehengeblieben und haben die Prozesse als Balkon einfach drangebaut. Jeder merkt, dass da was nicht stimmt. Ständig Reibung. Nicht nur wie ein Steinchen im Schuh, sondern schon ein halber Fels in der Socke.
Und dennoch wird eher den Prozessen die Schuld gegeben, als die Organisation neu zu denken.
Anamnese – Diagnose – Therapie
Woran mache ich das fest? Natürlich würde ich immer zuerst eine echte Untersuchung machen. Die Anamnese kommt vor der Diagnose, und die Diagnose kommt vor der Therapie. Das wird heute leider selten gemacht. Da gibt es gleich das Antibiotika, ohne zu schauen, ob es vielleicht ein Virus ist. Doch haben wir zwei super-einfache Kriterien in Organisationen:
- C*O: Gibt es C*O oder ein C-Level (egal wie es heißt), dann bin ich bei den Puppenspielern. Ich habe eine Organisation mit zwei Welten: die Offiziere und das Fußvolk. Die Befehlskette und die Befehlsempfänger. Klar wird das heute meist poliert und verkleidet, aber was ist der Kern? Was passiert, wenn es darauf ankommt? Macht, Prozess oder Mensch? Denn in Prozessorganisationen gibt es keine Befehlskette mehr. Das machen die Prozesse. Und Kollaboration ist ohnehin ein sich regulierendes Netzwerk.
- Zeit-Erfassung: Tja, wenn Umsatz für die Organisation und Anwesenheitszeit für die Mitarbeiter die wesentlichen Zahlen sind, dann ist klar, in welcher Welt wir stecken. Im Kartoffelacker. Mir ist auch klar, dass da auch das Arbeitsrecht eine Rolle spielt, so dass wir das nicht weglassen können. Auch viele Standards und Gesetze sind noch im Kartoffelacker. Das macht es noch schwerer umzudenken. Aber unser interner Fokus sollte ein klares Verständnis von Produktivität haben. Und das ist ganz oft völlig unabhängig von Zeit.
Das sind Indikatoren für den Puppenspieler. Und wenn das passt und konsequent gelebt wird, ist es okay. Wenn aber was anderes verkauft wird (zum Beispiel Prozesse, Kollaboration, Agilität), lohnt sich eine tiefere Untersuchung und eine gezielte Therapie.
Wir werden intelligente Organisationen bekommen, sobald wir Produktivität über unseren persönlichen Status stellen. Und du kannst dabei mitmachen. Wir brauchen einander.
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