Zahlen sind natürlich nicht die Wahrheit, wenn es um Gewalt geht. Gewalt ist ein Eingriff in die Freiheit eines anderen Menschen und das macht was mit uns, wenn wir es erleben.
Wenn es als Kind passiert (<10 Jahre), dann kann sich leicht ein Trauma entwickeln, später können diese Dinge vertieft werden.
Gewalt ist der Einfluss eines Menschen auf einen anderen, gegen dessen Willen. Das kann in er Form von Entzug und Vorenthaltung sein, oder in einem Zuviel.
Als Bild: Ich kann ein Kind verhungern lassen oder es mästen. Beides ist Gewalt, beides ist Missbrauch und sollte so gesehen werden. Dazwischen ist ein Bereich, der gesund ist. Wo beide dabei sind.
Und was wir an dem einfachen Bild sehen: Gewalt kann nie abstrakt entstehen, sondern ist an einen sozialen Kontakt oder Interaktion gebunden. Ein Erdbeben oder eine Krankheit sind in dem Sinne keine Gewalt. (Deswegen juristisch auch “höhere Gewalt”.)
Ich komme noch zu den Zahlen und warum der BKA-Bericht eigentlich über einen Androzid spricht (ja, ich musste das Wort auch erst nachschauen) oder – mit ein wenig Kontext – vielleicht überhaupt keinen Genderzid. Weil das dann doch eine Verspottung der Genozide ist, die wir im letzten Jahrhundert gesehen haben.
Haben wir zu viel Gewalt? Ja. Erleben Frauen zu viel Gewalt? Ja.
Schauen wir uns das an. Und ja, das Thema hat eine gewisse Komplexität, so dass wir eine längere Aufmerksamkeitsspanne als die eines Fruchtfliegchens brauchen. Aber wir schaffen das.
Woher kommt Gewalt überhaupt?
Wir Menschen haben 4 Grundbedürfnisse, also emotionale: Bindung als erstes und daraus entwickelt sich Selbstwert, Selbstbestimmung und Sicherheit. Dabei geht es um emotionale Sicherheit, die aus dem Vertrauen in meine Umgebung, in mein Rudel begründet ist. Die Gewissheit von “Wir halten zusammen und wir schaffen das, egal, was passiert.”
Wenn diese Grundbedürfnisse nicht erfüllt werden, was bei den meisten von uns hier und heute der Fall ist, dann fangen wir an zu kompensieren. Wir suchen uns eine Ablenkung, um nicht zu fühlen.
Babys schreien, wenn sie sich einsam fühlen. Ihr Bedürfnis nach Bindung ist verletzt. Dann kommt der Schnulli. Das ist die erste Kompensation. Ich verlagere meinen Schmerz. Und so fängt es an. Ich knüpfe mein inneres Wohlergehen, an äußere Dinge, die ich unter Kontrolle habe.
Soziale Verträge
Jede Begegnung – Kontakt – den wir mit anderen Menschen haben, hat nur zwei mögliche Formen (siehe Julie & John Gottman): Wir können Vertrauen bauen, oder Verrat begehen. (Also Sicherheit schaffen oder zerstören, wie wir bei den Grundbedürfnissen gesehen haben.) Es gibt kein neutrales Element. Das bedeutet, wenn ich in einer Begegnung nicht Vertrauen baue, dann lebe ich Gewalt in einer Form. Ich enthalte vor oder ich bin übergriffig.
Bei Gewalt geht es ja darum, was in der anderen Person ausgelöst wird. Und wir wissen, dass dieselbe Handlung zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. Das gilt körperlich und emotional. Wenn mich ein Profiboxer schlägt, dann bin ich tot. Wenn er seinen Kollegen schlägt, dann hat der nicht mal einen blauen Fleck.
Zurück zu Kindern: Wenn ich meinen Willen nicht bekomme, dann flippe ich aus. Wenn jemand mein Spielzeug nimmt, dann auch. Und das ausflippen macht unser innere Gecko. Unser Reptilienhirn. Der kennt dann drei Modi: Fight, Flight, Freeze. Also Kampf, Flucht und Starre (Totstellen). (Es gibt noch mehr Angst-Modi, zum Beispiel Fawn, der wohl verbreitetste in der zivilisierten Welt, aber der ist einer der andern in Verkleidung. Der Neocortex hat dann eine Rolle erzeugt, die gespielt wird.)
Gewalt ist ein Versuch, die Kontrolle über die äußere Situation wiederherzustellen. Das kann Drohung, Bestechung oder Erpressung sein.
Jede Form von Manipulation ist Gewalt. Dazu zählen auch Regeln, die nicht gegenseitig vereinbart sind. Mit Regeln kann das Verhalten von anderen gesteuert werden. Aber nicht das Herz.
Wenn wir an der Oberfläche der Betrachtung bleiben, dann sehen wir, dass es um ein Spielzeug geht. Schauen wir tiefer hin, geht es um Gefühle und die sind wieder Spiegel verletzter Grundbedürfnisse. Das Prinzip hinter Gewalt ist auf oberster Ebene Schutz. Ich schaffe mir eine vermeintliche Sicherheit (= Kontrolle in einer gefährlichen Welt, einer Welt ohne Vertrauen) in einer für mich bedrohlichen Situation.
Darunter steckt aber was anderes. Das emotionale Ziel von Gewalt ist: “Ich möchte, dass du fühlst, wie du machst, dass ich mich fühle.” Das erleben wir vor allem in der Eskalationsspirale bei Kindern. Wenn sie eskalieren, dann geht es darum, dass sie nicht anders zum Ausdruck bringen können, wie sie sich fühlen. Aus ihrer Sicht: Wie ihre Eltern machen, dass sie sich fühlen.
In der Tabelle finden wir die Symptome, wie wir im Angst-Modus reagieren. Welchen wir wählen, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Da spielt Sozialisierung natürlich eine Rolle. Wir nehmen das, was am besten funktioniert. Das sind Trauma-Muster. Jedes Fragment (also die Rolle, die durch ein Trauma entsteht) von uns, kann ein anderes Angst-Muster wählen, weil wir unterschiedliche Situation der Verletzung unserer Grundbedürfnisse erlebt haben und jede Situation eine andere Reaktion fordert. Manchmal lohnt es sich, sich zu wehren, manchmal ist einfach unter dem Radar bleiben besser.
Alle diese Reaktionen entstehen aus Angst und sind eine Verletzung. Wir werden in einem Umfeld von bedingungsloser Liebe und Annahme, keine Gewalt finden. Gewalt kommt ausschließlich in einem Weltbild von einer feindlichen oder gefährlichen Umgebung statt. (siehe auch William M. Marston)
Jede Form von Gewalt – also Bruch des sozialen Vertrags, ob vorenthalten oder übergriffig – ist ein deutliches Zeichen von Angst und Unsicherheit.
Und wenn wir uns das Modell in Tribal Leadership anschauen, dann bekommen wir auch paar Zahlen zu den Weltbildern.
Gewalt finden wir in den Weltbildern der unteren 3 “Stages”. Wir werden dort – die Namen sagen es schon – unterschiedliche Formen finden, aber es bleibt Gewalt. Genaugenommen, ist in den Weltbildern die (innere) Angst und Schmerz so groß, dass eine wirkliche authentische gewaltfreie Begegnung gar nicht möglich ist. Dazu müssten wir noch betrachten wie das Ego funktioniert und sich schützt. Aber das Prinzip Kompensation und externe Regulierung (“ich mache, dass du dich fühlst, wie du machst, dass ich mich fühle”) soll hier reichen.
Nun zu den Zahlen
Zur Veröffentlichung der BKA Zahlen, gab es eine Pressemitteilung von Ministerin Faeser und die Schlagzeile wurde von Medien dankbar aufgegriffen.
Wenn ich Femizid lese, dann habe ich eine gewisse Erwartung an die Daten. Wikipedia sagt dazu “Genderzid … ist eine Wortneuschöpfung aus dem englischen gender und dem Völkermord–Synonym Genozid und bezeichnet das systematische und massenhafte Töten der Angehörigen eines spezifischen Geschlechtes.”
Hier mal alle Daten. (Daten sind direkt aus dem BKA-Bericht entnommen und nur um Quellenangaben und Hervorhebungen ergänzt).
Beim Genderzid, hier Femizid, geht es um “das systematische und massenhafte Töten” von Frauen. Da das Risiko einer Tötung (hier nur Gewaltdelikte) für Männer mehr als doppelt so hoch ist, stellt sich die Frage woher diese These kommt.
Info: Das Wort Femizid findet sich nicht im BKA-Bericht, sondern nur in der Pressemitteilung.
Generell können wir bei Prozentzahlen im Bereich der dritten Nachkommastelle jede Form von “-zid” ausschließen. Dennoch ist es Gewalt und davon darf es viel weniger geben.
Kontext und Relation
Erwartungswert
Wenn zwei dasselbe tun, bekommen wir völlig unterschiedliche Ergebnisse. Ja, Männer können gefährlich sein. Das ist genau der biologische Zweck gewesen. Gefährlich und ersetzlich. (siehe auch den nächsten Punkt)
Ein “Handle with care”-Hinweis ist also sinnvoll. Wenn ich einen fremden Tiger genauso wie eine fremde Hauskatze behandle, dann bin ich dumm.
Wenn Frau und Mann dieselbe Gewalt anwenden, dann ist der Effekt anders. Bei Männern im Durchschnitt 262% schlimmer. Das bedeutet, dass wir in oft existierenden Kombinationen zwischen Muskel-Buddy und Zero-Size-Model Unterschiede von 1500% haben können. Hauskatze gegen Tiger. Das kann keine Begegnung auf Augenhöhe sein. Und die 262% gelten ja für Angriff und Verteidigung. Wir haben also einen Faktor 5,2 zu 1.
Auf der Basis ist es übrigens so, dass Frauen – auch körperlich – gewalttätiger sind. Nehmen wir die Werte der Frauen und rechnen nur den biologischen Faktor drauf, dann kommen wir auf wesentlich höhere Zahlen, als wir in der Realität haben.
Also wenn Männer genauso schnell körperliche Gewalt anwenden würden wie Frauen, dann wäre der Wert noch viel größer, nur aufgrund der unterschiedlichen biologischen Voraussetzungen. Deswegen sind Frauen auch oft unbedacht, was die Anwendung von Gewalt angeht, weil das “ich richte eh keinen Schaden an” verinnerlicht ist.
Das soll keine Entschuldigung sein, sondern wir machen eine systemische Betrachtung. Und Tiger und Hauskatze gleich zu behandeln und den Unterschied zu ignorieren, ist dumm und gefährlich. Beide sind okay, wie sie sind, aber brauchen unterschiedliche Behandlung.
Biologie vs. Soziologie
Wir sollten über die Fähigkeit Gewalt anzuwenden nicht reden, ohne auch eine evolutionstechnische Betrachtung. Aus dieser Perspektive gibt es einen großen Wertunterschied zwischen Eizellenträger (ET, also Frauen) und Samenzellenträger (ST, also Männern). ET sind unsäglich viel wertvoller. Sie sind eine schützenswerte Ressource. Schutz und Fürsorge geht aber auch immer mit Fremdbestimmung einher.
Heute haben wir die Ambivalenz, dass wir auf der einen Seite sagen, dass wir ein Bild von Gleichheit der Geschlechter haben, dass gegen die Biologie ist. Und da kommen die sozialen Verträge ins Spiel. Ein “Frauen schlägt man nicht, egal was passiert” ist biologisch (evolutionstechnisch) sinnvoll, aber es ist sexistisch. Ich kann also nie beiden Normen gleichzeitig genügen.
Noch schlimmer ist es, wenn STs aktiv für den Schutz von ETs eintreten. Das ist der Kern vom Patriarchat. Sicher gut gemeint, aber eben Fremdbestimmung. Auch Frauen haben jetzt das Recht sich in Gefahr zu bringen oder zu töten. Direkt oder indirekt.
Formen der Gewalt
Im BKA Bericht sehen wir natürlich vorwiegend Formen der körperlichen Gewalt. Tatsächlich bräuchte es eine Erfassung von allen Gewalthandlungen. Das ist im Moment so, dass wir jeden Versuch ein Kind zu mästen aufführen, aber wenn das Kind verhungert, dann nicht, weil das “passiert” ja einfach. “Da machen wir ja nichts.” Das hat wieder mit einem Missverständnis der sozialen Verträge zu tun. Ich habe immer eine soziale Verantwortung und mir sollte es nie egal sein, was ich im anderen Menschen auslöse.
Und ST sind “stärker”. Aber nur in der einen Dimension. Wenn wir wieder in die Biologie schauen, dann haben ET einen Wert in sich, aber ST sind nur zum “Dienen” da. Also Versorgen und Beschützen. Das macht ST so viel abhängiger und anfälliger.
Wenn wir also körperlich einen Faktor 5,2:1 für die ST gesehen haben, so können wir emotional von einem 5,2:1 für die ET ausgehen. Wir sind alle das schwache/starke Geschlecht.
“Mit großer Kraft kommt große Verantwortung.”
Trauma-Muster
Das geht in zwei Richtungen: Hurt people, hurt people. Und unser Gehirn wählt, was es kennt. (Was bekannt, einfach und stimmig ist.)
Also wenn meine prägenden Beziehungen von Gewalt (also wieder Verhungern oder Mästen, im übertragenen Sinn) geprägt waren, dann werde ich Beziehungen suchen und reproduzieren, in denen ich wieder das selbe Gefühl habe. Also kenne ich Gewalt, suche und reproduziere ich Gewalt. Und ich werde mich immer als Opfer sehen, selbst wenn es meine Wahl war und wenn ich die Situationen der Gewalt erzeuge (durch Manipulation).
Das führt zu “hurt people, hurt people”. In Partnerschaften haben wir eine Symmetrie des inneren Schmerzes. Die Form ist oft gegensätzlich, aber der Schmerz ist derselbe. Das bedeutet wir finden unser Gegenstück, was wohlwollend die Rolle spielt, die wir ihnen zuweisen.
Das Markanteste Zeichen, wie tief diese Verletzungen gehen, ist die Belohnung von STs der Dunklen Triade durch die ETs. Das ist hier und heute die Gruppe von STs, die die höchste Attraktivitätsbewertung (und damit sexuelle Belohnung) von den ETs bekommt.
Das sehen alle anderen auch. Was ETs belohnen ist genau das, was wachsen wird, weil jeder ST will von ETs gesehen und belohnt werden. Das ist der zentrale Steuerungsmechanismus von Testosteron.
Was ich wähle, weil ich es gewohnt bin + die Belohnung der Dunklen Triade (ich kann von Menschen, die ich dafür belohne Empathie-los zu sein, keine Empathie erwarten)
Merksatz von Vera Birkenbihl (sie zitiert das aber auch nur): “Was der eine unterdrückt, wird vom anderen ausgedrückt.” Also diese Systeme streben nach Balance, wie alle Systeme. Also passive und aktive Gewalt werden sich ausgleichen. Deswegen weiß jeder Systemiker, dass in Familien und Partnerschaften faktisch nie einseitige Gewalt gibt. Viele Menschen denken in ihrem Gecko-Freeze-Mode “ich mache ja gar nichts”, aber wir wissen ja, auch das ist eine Verletzung des sozialen Vertrags und Verrat. Das macht die Situation unsicher. Also gefährlich.
Qualität von Modellen
Ich führe diese ganzen Elemente auf, um ein Gefühl für die Komplexität zu geben. Ich habe auch keine einfache Antwort. Und in Komplexität sind alle Modelle falsch. Es geht nur darum nützliche Modelle zu finden. Die sollten die Vergangenheit und die aktuelle Situation erklären und Vorhersagen für die Zukunft zulassen.
Dazu müssen Modelle auch auf der Mikro- und Makro-Ebene eine Antwort geben. Also die Modelle müssen zu den Zahlen in Statistiken passen, aber auch zu der einzelnen Situation. Und da sehe ich bei dem Wort “Femizid” wieder ein großes Problem, denn ein ST streitet ja mit einer ET nicht, weil sie ET ist, sondern weil er hetero ist. (Denn wenn nicht hetero, dann ist es ST zu ST oder ET zu ET und alle anderen auch.)
Eifersucht ist eine Form von Kontrolle, oder der Angst vor Kontrollverlust. Je nachdem, wie man es sieht. Verletzte und unsichere Menschen sehen den Partner als Besitz. “Das ist mein Spielzeug und das verteidige ich.” Das ist zu aller erst das Grundprinzip von Konflikten in Beziehungen. Wenn ich das hochaggregiere und es zu den Daten passt, habe ich ein Modell, das gut genug ist. Und das wechsle ich erst, wenn ich was besseres bekomme.
Aus dem Genozid in Ruanda haben wir Beispiele, die auf einer anderen Ebene sind. Der Kampf Hutu gegen Tutsi ging soweit, dass sich Nachbarn und Freunde ermordet haben. Die Menschen sind in einer reinen Tötungsabsicht losgezogen. Da gab es sonst keine weiteren Motive. Der Grund des Besuchs war eine Tötungsabsicht, ohne eine persönliche Eskalation davor. Dabei haben die Hutu innerhalb von etwas mehr als 3 Monaten 75% der Tutsi getötet.
Die wahre Gefahr
Jeder Tod ist einer zu viel. Aber wenn wir eine ganz nüchterne Betrachtung der Daten machen, dann haben wir bei den Verkehrstoten die gleiche Verteilung. (Da könnte man diskutieren, dass die Grundgesamtheit eine andere ist, weil ja nicht alle Menschen Autofahren, aber es sind hier auch alle Verkehrstoten erfasst, also auch Fußgänger.)
Männer leben auch hier gefährlicher.
Wenn wir zu Selbstmorden kommen, dann wird es richtig traurig. Vor allem für ST. Seit vielen Jahren führen STs die Selbstmordstatistik an und für alle ist es die größte Anzahl an gewaltsamen Toden. Mit Abstand. Für ETs ist es das Doppelte von den allen anderen Gewalttaten mit Todesfolge, bei den ST ist es Faktor 7.
Auch diese Gewalt kommt aus dem Schmerz. Aus einer absoluten Verlorenheit und Verzweiflung. Ein Punkt, an dem der Tod, als der einzige Weg zu ein bisschen Kontrolle erscheint.
Heinrich’s Law
Oder eine Version von “Wehret den Anfängen” oder “Löst Probleme, solange sie klein sind”. Heinrich’s Law kommt aus dem Sicherheitsbereich. Beliebt in der Luftfahrt, aber auch sonst überall, wo es um Menschenleben geht.
Es ist eine 1 – 29 – 300 Regel, was bedeutet, dass auf eine Katastrophe 29 schwere Zwischenfälle kommen und auf jeden schweren Zwischenfall 300 kleine Abweichungen.
Was wir im BKA-Bericht sehen sind die “Katastrophen”. Die kann ich nur reduzieren, in dem wir auf der Micro-Ebene besser werden. Es ist die kleine Gewalt, die unbemerkt stattfindet. Und da sind wir alle gleichermaßen Täter. Denn wenn wir Gewalt säen, werden wir sie ernten.
Dunkelziffer
In der Referenz auf Tribal Leadership haben wir gesehen, dass mindestens 75% der Gesellschaft Gewalt erleben. Täglich.
Die Dunkelziffer ist also extrem hoch. Das hat auch wieder eine Vielzahl von Gründen, die in ETs und STs unterschiedlich stark ausgeprägt sind: Angst, Scham, Selbstzweifel, Abhängigkeit, emotionale Abhängigkeit (Partner ist Suchtmittel), Wahrnehmungsverzerrung (“das ist normal”, “ich kenne nichts anderes”, “das ist ja nicht schlimm”, “sie meint es nicht so”), Glaubenssätze (“ich habe es verdient”), Verharmlosung, Auflösung (“ich sehe deinen Schmerz”), Übernahme der Verantwortung (“ich werde mit meinem Versagen niemanden belästigen”), keine ausgeprägte Angst (“dann sterbe ich halt”), und vieles mehr.
Denn auch wenn der Artikel schon lang ist, so reiße ich jedes einzelne Thema nur kurz an. Es geht darum, dass wir verstehen, dass es mit einer einfachen Schuldzuweisung nicht getan ist. Im Gegenteil: Je mehr Druck, Regeln und Verbote wir machen, desto gefährlicher wird die Situation. Wir brauchen Nähe und Begegnung. Was uns in den Lösungsraum führt.
Lösungsansätze
Emotionale Regulierung
Emotionale Regulierung ist die Fähigkeit für seine Gefühle Verantwortung zu übernehmen. Das bedeutet, dass ich die Verantwortung für meinen inneren emotionalen Zustand übernehme, aber auch, dass ich mit Gefühlen konstruktiv umgehe. Weder unterdrücken, noch ungefiltert ausleben. Trotzdem bleiben wir Menschen und werden unseren BreakingPoint haben, aber der sollte robust sein. Wieder die Skala von 1 bis 10. Ein BreakingPoint sollte im Bereich von 8 bis 10 liegen, wenn 10 die größte mögliche Belastung ist. Und wir haben genug Menschen, da liegt er bei 2 bis 3. Das ist nicht lebensfähig. Dann werde ich zum Tyrannen für andere, weil ich immer angegriffen bin. Und bis zum Alter von 7 Jahren, sollten wir das im Griff haben. Haben sicher 85% der Menschen nicht.
Empathie
Dazu braucht es Wachstum. Und ein Teil des Wachstums ist Empathie. Denn wenn Empathie vor allem für andere da ist, zeigt sie mir auch wo ich noch lernen muss, um es überhaupt zu können.
Empathie ist, dass ich mich in den anderen reinfühle, auch dann, wenn die Person nicht so fühlt wie ich. Empathie ist es erst dann, wenn ich mich auf etwas Neues einlasse.
Praktischer Respekt
Respekt heißt “ich sehe dich”. Das ist ein guter Start. Die Startlinie von Beziehung ist ein gegenseitiges Sehen, Hören, Verstehen und Berühren.
Ein ganz praktisches Beispiel ist die Periode der ETs: Verstehen und andere (oder sich selbst) in eine Form pressen. Warum zwinge ich mich in eine Rolle, als ob alles okay ist, wenn ich innerlich sterbe.
Warum bringe wir sowas 10, 12, 14 jährigen ETs bei? Was macht das mit denen? (Auch hier sehen wir, dass hinter dem abstrakten Konstrukt, konkrete Menschen und Situationen stecken, die diese Nachricht vermitteln.)
Umgekehrt sollten auch STs angemessen behandelt werden. Wir sollten jederzeit das Risiko präsent haben. Wir haben das Gefühlsleben von STs über Jahrhunderte unterdrückt, was sie “sicherer” gemacht hat. Ich kann aber nicht einzelne Gefühle ausblenden. Also wenn STs in Beziehung sich öffnen sollen, dann müssen sie auch mit größerer Vorsicht und Respekt behandelt werden. Reize nie einen Tiger. Sie sind keine Maschinen oder Roboter.
Und die Lösung ist nicht zu den Tigern zu sagen, dass sie jetzt Hauskatzen sein sollen. Das macht es nur schlimmer. Es gibt einen guten Unterschied, also gehen wir gut damit um.
Kommunikation
Eine Skala für Gewalt. Was war das jetzt auf einer Skala von 1 bis 10? Dabei geht es nicht um absolute Werte und Wettstreit, sondern darum, ins Gespräch zu kommen und sich verstehen zu können.
Und die Skala wird je nach persönlicher Erfahrung unterschiedlich sein. Die 10 ist dann das Ziehen von Fingernägeln mit einer Zange. Also wie wir glauben, wie das ist. Denn ich hoffe, niemand von euch hat das je erlebt.
Dabei behandeln wir alle Formen von Gewalt gleich.
Das würde auch in Richtung Selbstmord helfen, was ein viel größeres Problem ist. Gerade bei den ST Verkehrstoten, werden auch viele Selbstmorde dabei sein. Das ist aber in den Statistiken nicht sichtbar.
Resilienz
Es gibt auch die “Tyranny of the Offended”. Wenn wir zu schwach werden und alles in unserem Kopf uns real vorkommt und uns Angst macht oder kränkt, dann sind wir auch unglücklich und machen alle anderen unglücklich. Unser Handlungsspielraum wird winzig klein.
Resilienz ist die Fähigkeit mit Widrigkeiten des Lebens konstruktiv umzugehen. Hat auch viel mit starken Grenzen zu tun. Denn wenn wir uns stärken, dann kommen wir aus der Angst raus. Denn wenn alles uns Angst macht, haben wir auch keine Freiheit. Die Freiheit liegt in unserer Entscheidung unsere Reaktion auf einen Reiz zu wählen. (von Victor Frankl)
Und wir wissen ja inzwischen, dass Angst die einzige Ursache für Gewalt ist. Also weniger Angst, weniger Gewalt. Und Angst reduziere ich nicht durch externe Sicherheit, sondern durch innere Stärke. In mir und im Verbund mit meinem “Rudel”.
Wert klären
Wenn ich mit den BKA-Daten einen Femizid sehe und so titele, dann ist ein ST Leben offenbar viel weniger wert, als ein ET Leben. Das ist in evolutionsbiologischer Perspektive eine Option. Aber die sollte dann auch offen diskutiert werden. Denn eine höhere Selektion (und damit Verknappung) bei den STs könnte einige Probleme lösen.
Bedingungslose Liebe und Annahme
Liebe ist “Das bedingungslose Interesse an der Entfaltung des anderen Menschen.”
Gerald Hüther
Wenn wir anfangen unsere Angst und unseren Schmerz einen kurzen Moment beiseite zustellen, dann können wir auch mal die anderen sehen.
Zahlen helfen manchmal ein bisschen, aber der größte Teil unserer täglichen Realität ist nicht hier drin.
Außer vielleicht: Liebe ETs, egal wie ihr euch fühlt, ihr seid die safeste Gruppe. Ihr fühlt es nur nicht, weil ihr auch in einem Weltbild der Angst seid.
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